Vorschau:
Ich verfolge keine Nachrichten mehr. Ich kenne weder die aktuellen Corona-Zahlen, noch die Wirtschafts-Prognosen und habe weder Push-Meldungen auf meinem Smartphone aktiviert noch findet die Tagesschau einen Platz in meinem Alltag. Ich kann nicht mehr. Und ich mag auch nicht mehr. Zwischenbemerkung: Jedes Jammern lässt sich unweigerlich missverstehen. Ich bewohne ein großes Mehrgenerationen-Haus auf dem Land, vor meiner Haustür liegen 20 Quadratkilometer einsamer Wald. Als Lehrer muss ich nicht um mein Gehalt bangen und ich bin nicht alleinerziehend und meine Kinder sind gesund und klug. Dieser Text darf als Primärquelle einer besonderen Zeit und Blickwinkel eines Familienvaters aufgefasst werden. Als Tagebuch der Entschleunigung. Vormittags Die Tage beginnen bei uns gerade immer gleich. Wir stehen zwischen 7 und 8 Uhr auf und Frühstücken gemeinsam. Weil die Kinder länger brauchen, decke ich den Tisch. Immer um 9 Uhr starten meine Videokonferenzen mit meiner Klasse: 29 Schülerinnen und Schüler werden begrüßt, es wird nach dem Befinden gefragt und anschließend über den aktuellen Stand der Projektaufgaben gesprochen. Hier und da gibt es Lob, virtuelle Umarmungen oder pädagogische Tritte in den Hintern. Diese Besprechungen dauern durchschnittlich 30 Minuten. Anschließend sehe ich mir die Aufgaben der Kinder an, gebe Rückmeldung und telefoniere in Einzelgesprächen mit Schülern, Kollegen, Eltern. Während dieser Zeit arbeitet auch meine Frau. Als Pastorin telefoniert sie viel mit den Senioren und bereitet Aufzeichnungen von Gottesdiensten und Andachten vor. Materialsuche, Aufnahme und Videoschnitt macht sie allein – zwischendurch assistiere ich beim Hochladen in die Cloud oder Brennen von CDs für Senioren. Für viele, gerade ältere, ist eine Ortsgemeinde ein wichtiges soziales Netz. Isoliert in der eigenen Wohnung und z.T. ohne Gesprächspartner ziehen sich die Tage für sie unendlich in die Länge. Auch während dieser Zeit räumt meine ältere Tochter den Tisch ab und beginnt mit ihren Hausaufgaben. Gleichzeitig beaufsichtigt sie unsere Jüngste. Die ist 5 und arbeitet jeden Morgen ein bis...